Buch Drei – Entwicklung

Dies ist Teil 3 von 9 der Serie Das Tao der Programmierung

Buch Drei – Entwicklung

So also sprach der Meisterprogrammierer:
„Hat der Testlauf erst einmal begonnen, so ist es zu spät, um Änderungen am Programm vorzunehmen.”

3.1

Es gab einmal einen Mann, der zu einer Computermesse ging. Jeden Tag sagte er der Wache an der Tür beim Eintreten: „Ich bin ein berühmter Gauner, weitbekannt für meine Fähigkeit als Ladendieb. Sei gewarnt, auch auf dieser Messe wird gestohlen werden.”

Dieses Gerede beunruhigte den Wachmann sehr, da es drinnen Computerausrüstungen im Werte von mehreren Millionen Dollar gab. Also beobachtete der Wachposten den Mann sorgfältig. Aber der Mann schlenderte lediglich von Stand zu Stand und summte leise vor sich hin. Als der Mann die Messe verließ, nahm der Wachposten ihn beiseite und durchsuchte seine Sachen.

Aber er fand nichts.

Am nächsten Messetag kam der Mann wieder und rügte den Wachposten mit folgenden Worten: „Gestern ging ich mit einer riesigen Beute hinaus, aber heute wird es noch besser laufen.”

Also beobachtete der Wachposten ihn noch sorgfältiger, doch ohne Erfolg. Am letzten Tag der Messe konnte der Wachposten seine Neugier nicht länger zurückhalten. „Herr Dieb” fragte er, „ich bin so ratlos, daß ich nicht mehr ruhig schlafen kann. Bitte klär mich auf. Was stiehlst du bloß?”

Der Mann lächelte: „Ich stehle Ideen.”

3.2

Es gab mal einen Meisterprogrammierer, der schrieb unstrukturierte Programme. Ein Neuling, der versuchte ihn nachzuahmen, begann ebenfalls unstrukturiert zu programmieren. Als der Neuling den Meister bat, seinen Fortschritt zu beurteilen, da kritisierte ihn der Meister, weil er unstrukturierte Programme schrieb. Er sagte: „Was sich für den Meister schickt, ist noch lange nicht gut für seinen Schüler. Bevor du die Struktur mißachtest, mußt du das Tao begriffen haben.”

3.3

Es gab einmal einen Programmierer, der dem Hofe des Kriegsherrn Wu angehörte. Der Kriegsherr fragte den Programmierer: „Was ist einfacher zu realisieren: ein Anwendungsprogramm oder ein Betriebssystem?”

„Ein Betriebssystem,” erwiderte der Programmierer. Der Kriegsherr stieß einen Ruf der Verwunderung aus. „Sicherlich ist ein Anwendungsprogramm sehr einfach im Gegensatz zur Komplexität eines Betriebssystems,” sagte er.

„Dem ist nicht so,” sagte der Programmierer. „Beim Entwickeln eines Anwendungsprogramms fungiert der Programmierer als Mittler zwischen Leuten verschiedener Ansichten: Wie es ablaufen muß, wie die Ausgaben auszusehen haben und wie es zu den Steuergesetzen passen muß. Im Gegensatz dazu ist ein Betriebssystem frei von äußeren Einflüssen. Beim Entwickeln eines Betriebssystems bemüht sich der Programmierer um größtmögliche Harmonie zwischen Maschine und Ideen. Deswegen ist es einfacher ein Betriebssystem zu entwickeln.”

Der Kriegsherr Wu nickte und lächelte, „Das ist alles schön und gut, aber was ist einfacher zu debuggen?”

Der Programmierer gab keine Antwort. 

3.4

Ein Manager ging zu einem Meisterprogrammierer und zeigte ihm die Anforderungen für eine neue Anwendung. Der Manager fragte den Meister: „Wie lange wird es dauern, dieses System zu entwickeln, wenn ich fünf Programmierer darauf ansetze?”

„Es wird ein Jahr dauern,” sagte der Meister prompt.

„Aber wir brauchen dieses System sofort, wenn nicht sogar noch früher! Wie lang wird es dauern, wenn ich zehn Programmierer darauf ansetze?”

Der Meister runzelte die Stirn. „In diesem Fall wird es zwei Jahre dauern.”

„Und wenn ich hundert Programmierer darauf ansetze?”

Der Meister zuckte zusammen. „Dann wird es niemals fertig.”

Enno Wulff
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